"Müssen aufpassen, dass Schengen nicht zusammenbricht"


Artikel verfasst von

Maike

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Der Ingenieur für Luftfahrttechnik und Volkswirt Josep Borrell, 71, war unter dem sozialistischen Premier Felipe González in den 90er Jahren Infrastruktur- und Umweltminister. Von 2004 bis 2007 war er Präsident des Europäischen Parlaments. Seit Anfang Juni ist der Katalane Außenminister Spaniens.

SZ: Die neue spanische Regierung hat mit ihrer Entscheidung Aufsehen erregt, mehr als 600 in Seenot geratene afrikanische Migranten aufzunehmen, denen Italien das Anlaufen seiner Häfen nicht erlaubt hat. Wer hat nun in dem Konflikt gewonnen, Rom oder Madrid?

Josep Borrell: Es ist ein Sieg für die Menschen auf dem Rettungsschiff Aquarius. Was Italien angeht, so ist offensichtlich, dass die Wähler einer neuen Regierung das Mandat gegeben haben, die die massenhafte Immigration unterbinden möchte. Ich teile nicht deren Haltung im aktuellen Fall, aber das Ergebnis der Wahlen müssen wir erst einmal akzeptieren.

Was folgt aus dem Konflikt um die "Aquarius"?

Die Migration über die zentrale Mittelmeerroute ist keineswegs nur ein Problem Italiens, die Sicherung der Außengrenzen der EU ist unsere gemeinsame Aufgabe. Es kann jederzeit wieder zu einem großen Ansturm kommen. Wer weiß, ob nicht in einem Jahr der Anlaufpunkt für die afrikanischen Migranten die Kanarischen Inseln sein werden?

Welche Maßnahmen schlagen Sie vor?

Wir müssen in den Ländern der EU rasch zu einem Konzept kommen, wie wir einheitlich das Problem der Massenmigration angehen. Bisher haben viele Politiker in Europa eine Vogel-Strauß-Politik vorgezogen. Doch man muss sich nur die Geburtenraten in Afrika anschauen, um zu sehen, welch riesiges Problem da auf uns zukommt. Wir müssen aufpassen, dass das Schengen-System, der Verzicht auf Grenzkontrollen innerhalb der EU, nicht zusammenbricht. Wir müssen uns auf eine konsequente Politik der Rückführung verständigen, die diejenigen betrifft, die nicht das Bleiberecht bekommen, und wir müssen die wirtschaftliche Entwicklung in den Ländern Afrikas wirkungsvoll unterstützen.





Wie kann das geschehen?

Entwicklungshilfe ist ein überaus komplexes Problem. Viele junge Leute, die dank der Hilfe von außen eine bessere Ausbildung erhalten, wollen ihre Länder verlassen. Ich habe kürzlich im Senegal mit hohen Politikern, Universitätsprofessoren, Bürgermeistern, Stammeshäuptlingen gesprochen. Sie sagen, dass die Appelle an die Menschen, doch besser zu Hause zu bleiben, nicht gehört werden. Jeden Tag präsentieren ihnen die Medien dieses reiche Europa, Europa ist ein Magnet.

Ein Großteil der Migranten strebt nach Europa, nicht um ihr Leben zu retten oder politischer Repression zu entfliehen, sondern weil sie darauf hoffen, ihre wirtschaftliche Lage verbessern zu können. Es sind nicht die Schwächsten und Ärmsten, die sich auf den Weg machen, sondern Menschen, die energisch sind - und die dann ihren Heimatländern fehlen. Wir können hier nicht nur nach dem Herzen handeln, sondern müssen auch das Gehirn einschalten.